Wiener Prater 48°12'51.0"N 16°24'03.7"E
Lockdown
im Vergnügungspark
Der Wiener Prater blickt auf eine über 250jährige Vergangenheit als Naherholungsgebiet zurück. Insbesondere der „Wurstelprater“ mit seinen Attraktionen ist ein beliebtes Ausflugsziel der Wiener Bevölkerung und Sehnsuchtsort für Generationen von Kindern.
Besonders im Frühjahr ist im Prater Hochsaison, Touristen und einheimische Familien drängen sich gleichermaßen an den Buden. Im April 2020 war alles anders. Während des Lockdown gab sich der menschenleere Prater faszinierend und gespenstisch zugleich.
Die Figuren an den Attraktionen starren stumm auf ihren leeren Park
Die Schließung sollte vom 16. März bis 29. Mai 2020 dauern. Eine harte Prüfung für die rund 80 Praterunternehmer, deren insgesamt 250 Betriebe zum Zeitpunkt des Lockdown mehrheitlich bereits vier Monate Winterruhe hinter sich hatten. In der ersten Wochen völlig geperrt, war das Areal ab April zumindest tagsüber zugänglich. Am frühen Morgen eröffneten sich ungekannte Prater-Perspektiven.
Wo sich normalerweise die Menschen drängen: Leere. Wo der Mix aus Marktschreierei und billiger Euro-Disco jedes Wort übertönt: Stille. Dafür etwas, das man hier sonst nicht zu hören bekommt: Das Geklapper von Frühstücksgeschirr am Sonntagmorgen. Denn neben den lauten Attraktionen leben erstaunlich viele der Schausteller direkt neben oder hinter ihren Fahrgeschäften.
Eklektischer typografischer Mix aus sieben Jahrzehnten
Die Attraktionen des Vergnügungsparkes werden von Familiendynastien betrieben, die teilweise schon seit über 150 Jahren im Prater verwurzelt sind. Die Besitzverhältnisse sind nicht einfach zu durchblicken (siehe die Addendum Recherche „Wem gehört der Prater“). Lose im Verein der Praterunternehmer organisiert, agieren sie autonom und weisungsfrei. Das erklärt vielleicht, warum sich der Prater als ein Vergnügungspark der unterschiedlichen Geschwindigkeiten etablieren konnte. Während der Presse alljährlich die höchsten, schnellsten und riskantesten Fahrwerke präsentiert werden, halten sich in den Nischen hartnäckig jahrzehntealte, beschauliche Attraktionen. So diente der bis heute unveränderte Mecky Express bereits 1973 als Kulisse für das Video zu André Hellers „Schnucki, ach Schnucki“.
Damit einher gehen typografische Versatzstücke, die an die 1950er Jahre erinneren, als der Prater nach seiner Zerstörung in den letzten Kriegswochen wiederaufgebaut wurde. Besonders die Attraktionen für die Kleinsten scheinen keine Eile bei der Anpassung an moderne Zeiten zu haben: Da zieren Rennautos die Namen berühmter Formel-1 Piloten, die bereits in den 1980er Jahren ihre Karrieren beendeten; „getankt“ wird an der Tankstelle eines Brands, der Ende des letzten Jahrhunderts von der Bildfläche verschwand.
Der Vergnügungspark als ein Ort steter Veränderung
Mögen die alten Fahrgeschäfte auch nostalgisches Flair vermitteln, sie können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sich der Prater in ständiger Veränderung befindet. Attraktionen werden auf- und wieder abgebaut, in jeder Saison werden neue, spektakuläre Rides eröffnet.Dazwischen Wohnhäuser, Werkstätten und Lager.
Dort wird gewartet, aufgemöbelt und instand gesetzt. Neues neben Alten, eine seltsame Wiener Melange. Von den indentitätsstiftenden Fassaden bis hin zu kleinen Details an der Fahrgeschäften: In der Leere des Lockdowns treten all diese visuellen Layer nun plötzlich gleichberechtigt hervor.
Prater-Attraktionen der anderen Art, 1983, Foto: Fortepan/Nagy Guyla
Die Achziger: Prater-Strizzis zwischen Autodrom, Spielhalle und Peepshow
Es gab Zeiten, da war der Prater übel beleumundet und wurde von von Familien eher gemieden. Ab den späten Siebzigern öffneten immer mehr billige Sexshows und Spielhallen. Sie und die Prostitution im Prater und den anliegenden Vierteln zogen nun eine neue, andere Art von Publikum an. Illegales Glücksspiel und das Bandenwesen florierten, immer wieder kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen – durchaus auch mit Todesfolge. Der Begriff Prater-Strizzi wurde zum Synonym für das kleinkriminelle Milieu zwischen Autodrom, Spielhalle und Langosbude.
Diese Parallelwelt wirkte wie ein Magnet auf Gestrauchelte und Ausreisser aus ganz Österreich, Jugendbanden fanden im Prater einen idealen Treffpunkt. Bis weit in die 1990er Jahre waren Teile des Praters fest in der Hand „ausländischer“ Banden wie den Red Brothers. Durch Kriminalität, Jugendbanden und dem agressiven Verhalten der Keiler vieler Schaubuden verlor der Prater für Familien zunehmend an Attraktivität.
An diese Zeiten erinnern heute noch die zahlreichen Gerätschaften zum Kräftemessen, einer Pratertradition, die durch die Figur des Watschenmann Berühmtheit erlangte. Während Mr. Muscle ein (unpassendes) Facelift des Displays erfuhr, sind die Automaten der Firma Zamperla nahezu unverändert im Einsatz. Das Modell unten findet man übrigens auch im nordkoreanischen Kaeson Youth Park.
Diese Parallelwelt wirkte wie ein Magnet auf Gestrauchelte und Ausreisser aus ganz Österreich, Jugendbanden fanden im Prater einen idealen Treffpunkt. Bis weit in die 1990er Jahre waren Teile des Praters fest in der Hand „ausländischer“ Banden wie den Red Brothers. Durch Kriminalität, Jugendbanden und dem agressiven Verhalten der Keiler vieler Schaubuden verlor der Prater für Familien zunehmend an Attraktivität.
An diese Zeiten erinnern heute noch die zahlreichen Gerätschaften zum Kräftemessen, einer Pratertradition, die durch die Figur des Watschenmann Berühmtheit erlangte. Während Mr. Muscle ein (unpassendes) Facelift des Displays erfuhr, sind die Automaten der Firma Zamperla nahezu unverändert im Einsatz. Das Modell unten findet man übrigens auch im nordkoreanischen Kaeson Youth Park.
Im Prater um 1984, Amateurfilm (Ausschnitt)
Mr. Muscle mit Original-Display, 1983, Foto: Fortepan/Nagy Guyla
Nervenkitzel in der Geisterbahn
Das „Geisterschloss“ wurde bereits 1948 erbaut und ist die älteste Geisterbahn im Wiener Prater. Die markanten Animatronics wurden zwar im Laufe der Zeit ausgetauscht, im Original erhalten blieben aber die Neonsigns aus dem Jahre 1955. Die „Große Geisterbahn“ hingegen rühmte sich einst damit, die größte, längste und höchste Geisterbahn Europas zu sein.
Heute ist sie in einem bedauernswerten Zustand, der Lindwurm hängt in Fetzen an der Fassade. Der Sensenmann am Dach der „Geisterbahn zum Roten Adler“ dreht auch schon seit 1951 seine Runden. Die Geisterbahn wartete bis vor einigen Jahren mit einem besonderen Nervenkitzel auf: Hinter einer Kurve lauerte ein Angestellter und kitzelte die Passagiere mit einem Federwisch.
Geisterschloß, 1983, Foto: Fortepan/Nagy Guyla
Luftaufnahme: Ralf Roletschek 2013
Eine Fahrt mit der ältesten Hochschaubahn der Welt
Die Hochschaubahn gleich neben dem Schweizerhaus ist die älteste, noch intakte Hochschaubahn der Welt. Sie wurde ab 1948 erbaut und 1950 als Alpenbahn eröffnet. Aufgrund der am Streckenverlauf platzierten Gartenwerge wurde sie von den Wienern aber schon bald liebevoll Zwergerlbahn genannt.
Seit 1971 befindet sich die Hochschaubahn in Familienbesitz, bis heute ist der nostalgische Klassiker unter den Praterattraktionen im Originalzustand. Es handelt sich zur Gänze um eine Konstruktion aus Holz, ein zehn Meter hohen Kettenlift bringt die Züge auf die Strecke. Die führt durch ein künstliches Felsmassiv, das den höchsten Berg Österreichs, den Großglockner, darstellen soll, vorbei an Dörfern und Flüssen sowie durch etliche Tunnel.
Die beiden Züge mit je zwei Waggons bieten Platz für jeweils 14 Personen und werden von sogenannten Bremsern begleitet. Sie sollen für die zusätzliche Sicherheit der jährlich rund 100.000 Passagiere sorgen. Wer Nervenkitzel sucht, ist hier falsch am Platz – wirklich gefährlich wird die Fahrt mit der Hochschaubahn nie. Es ist eher dieser kurzer Blick zurück auf die eigene Kindheit, der den besonderen Reiz einer Fahrt mit der Zwergerlbahn ausmacht.
Seit 1971 befindet sich die Hochschaubahn in Familienbesitz, bis heute ist der nostalgische Klassiker unter den Praterattraktionen im Originalzustand. Es handelt sich zur Gänze um eine Konstruktion aus Holz, ein zehn Meter hohen Kettenlift bringt die Züge auf die Strecke. Die führt durch ein künstliches Felsmassiv, das den höchsten Berg Österreichs, den Großglockner, darstellen soll, vorbei an Dörfern und Flüssen sowie durch etliche Tunnel.
Die beiden Züge mit je zwei Waggons bieten Platz für jeweils 14 Personen und werden von sogenannten Bremsern begleitet. Sie sollen für die zusätzliche Sicherheit der jährlich rund 100.000 Passagiere sorgen. Wer Nervenkitzel sucht, ist hier falsch am Platz – wirklich gefährlich wird die Fahrt mit der Hochschaubahn nie. Es ist eher dieser kurzer Blick zurück auf die eigene Kindheit, der den besonderen Reiz einer Fahrt mit der Zwergerlbahn ausmacht.