Mauer! Schau!
Die typografische DNA der Stadt
Schriftzüge mit Charakter
Video: Stephan Doleschal
Einzigartiges Format
Ganz genau wie in ihrem „ersten Leben“ an den Geschäftsportalen. Passanten, die täglich daran vorbeigehen werden sie nach einiger Zeit wohl gar nicht mehr beachten. Wie sie auch den Schriftzug des „kleinen Geschäfts um die Ecke“ nicht mehr beachtet haben – bis es dann eines Tages für immer geschlossen blieb.
Mauerschau am Ludwig-Hirsch-Platz, © Klaus Pichler
Arbeitsintensives Engagement
Hinter dem Verein Stadtschrift stehen Birgit Ecker und Roland Hörmann. Sie beschreiben ihre Tätigkeit als durchaus arbeitsintensiv: Hinweisen zu Schließungen nachgehen, mit Hausverwaltungen verhandeln, Sponsoren zu finden und die Schilder wieder fit für die Wand zu machen sind nur einige der Tätigkeiten, die einer Mauerschau vorangehen. Im Fall das Ludwig-Hirsch-Platzes vergingen gut eineinhalb Jahre vom ersten Gespräch bis zur Montage.
Die Geschichten hinter den Fassaden
Bonbons, 2001, © Martin Maly
Bonbons
5., Reinprechtsdorfer Strasse 39Demontage: 2005
Die Schaufenster üppig dekoriert, der Geruch beim Öffnen der Türe unvergesslich: Zuckerlgeschäfte waren der ultimative Kindertraum und oft taktisch klug in der Nachbarschaft von Kinos oder Theatern angesiedelt. Die Zuckerlecke existiert seit 2005 nicht mehr, ihr letzter Besitzer war Hans Jaul. Zum Zeitpunkt der Schließung war das „Schokoladen“ schon nicht mehr vollständig, weil Buchstaben auf Glaspanelen nicht gebohrt, sondern geklebt wurden – was zwar überraschend lange, aber nicht ewig hält. Der Schriftzug dürfte von der Firma Körner & Kloss (1897–2002) produziert worden sein, die auf diese Bauart der verspiegelten und bombierten Buchstaben bis in die 50er-Jahre ein Patent hatte. In einer Handvoll ursprünglich erhaltenen Bonbons-Geschäften kann man in Wien noch süße Zeitreisen antreten.
Elektro
16., Hasnerstraße 59Demontage: 21. April 2012
Das „Elektro Heyhall“ war eine der ersten Schriftrettungen des Verein Stadtschrift und leuchtete bereits für vier Jahre an der ersten Mauerschau in der kleinen Sperlgasse. Der 1964 durch die Firma Ronovsky installierte futuristische Schriftzug, insbesondere das blitzförmige „E“, ist eine typografische Huldigung der Elektrifizierung. Die Neonanlage wurde von den Mitarbeitern eigenhändig instand gehalten. Bis Mitte der 1980er-Jahre war hier an sechs Tagen in der Woche geöffnet, danach wurde das Lokal als Lager genutzt. Das Unternehmen gibt es noch immer: seit 1985 firmiert Heyhall Elektroinstallationen als GmbH, von 2008 bis heute unter neuer Geschäftsführung.
Elektro, 2009, © Stadtschrift
Leuchtete bereits für vier Jahre an der ersten Mauerschau: Der „Elektro“ Neonschriftzug aus der Hasnerstraße 59, © Stephan Doleschal
Gaststätte
22., Breitenleer Straße 244Demontage: 15. April 2014
In den letzten Jahren mussten einige Traditionswirtshäuser in der Donaustadt schließen, so dass in der Bezirkszeitung von einem „Gasthaussterben“ die Rede war. Betroffen war auch die „Gaststätte Kopp“, seit 1997 besser bekannt als „Breitenleerhof“. Das langgestreckte Areal des seit den 1880er-Jahren bestehenden Wirtshauses wurde 2013 von der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte gekauft. Auf dem Grundstück enstanden Mietwohnungen in mehreren Bauteilen, der bestehende schöne Festsaal wurde erhalten. Es gab Bestrebungen, die originale Beschriftung nach dem Umbau wieder anzubringen, wegen ihrer breiten Ausdehnung ließ sich aber keine geeignete Stelle finden. Eine charakteristische Eigenheit dieses Schriftzugs ist seine nachgiebige Grundlinie – sie scheint am Wortende dem Torbogen auszuweichen.
Kaffee
3., Radetzkystraße 24Demontage: 2. März 2016
Als Hubert Horky das Café 1964 von seiner Mutter übernahm, blickte der Standort bereits auf eine lange Kafeehaustradition zurück. Der Schmäh seines Betreibers und die bis zuletzt unveränderte Möblierung machten das Kaffee Urania zu einem der kuriosesten Lokale der Stadt. Im Jänner 2016 kam es zur Schließung, wenig später verstarb Horky. Die Beschriftung, eingangsseitig mit Neonröhren und ums Eck unbeleuchtet ausgeführt, stammt aus 1964. Der zweite Teil des Signs, die Muse Urania, hat ihr Zuhause an der „Frauennamenmauer“ in der Hofmühlgasse im 6. Bezirk.
Die „Frauennamenmauer“ im 6. Bezirk mit dem zweiten Teil der Beschriftung des Café Urania, © Klaus Pichler
Metalle
52., Taborstraße 35Demontage: 15. Jänner 2016
Dieser Schriftzug stammt aus der unmittelbaren Umgebung der Mauerschau. Das 1836 gegründete Geschäft hatte drei Standbeine: Zur Taborstraße hin konnte man Eisenwaren, Schrauben und Nägel per Stück kaufen. In der Großen Pfarrgasse befand sich die Abteilung für Haushaltswaren mit exotischen Artikeln wie Honigspendern und elektrischen Brotmessern. Wer seinen Dampfdruckkochtopf auf Sicherheit überprüfen lassen wollte, war in Blasser’s KELOmat Servicestelle richtig. Ausserdem war „der Blasser“ auch Urgestein am österreichischen Wassersportmarkt. Bootsbeschläge, Leinen und Taue gab es vis-à-vis in der Großen Pfarrgasse. Schon 1905 scheint Ernst Bathelt als Emmerich Blasser’s Nachfolger auf. Aus dieser Zeit könnten auch die verchromten Buchstaben stammen. Ende der 1970er-Jahre übernahm Ing. Peter Hahn das Geschäft. Der letzte Eigentümer war Herbert Felfernigg ab 2004, ein stolzer, fachkundiger „Ladner“ der alten Schule. Der Frage, was sich heute in dem Eckgeschäft befindet, kann man wenige Gehminuten von der Feuermauer entfernt nachgehen.
Informationen zu den Projekten: www.stadtschrift.at