Mumbai 18°59'21.1"N 72°50'01.9"E
Mumbai Taxi Art
2009 erschien das Magazin Creative Review mit einem Cover, das eine im Westen bis dahin nahezu unbekannte Artform schlagartig bekannt machte: Die kunstvollen Beklebungen der Taxis Mumbais.
Zehn Jahre später begab ich mich auf die Suche nach den Artists hinter dem “Mumbai Typo Taxi” um herauszufinden, was von den einst so prächtigen Beklebungen heute noch geblieben ist.
Creative Review beauftragte 2009 das in Mumbai beheimatete Design Studio Grandmother India mit der Umsetzung des Covers. Kurnal Rawat von Grandmother India hatte sich schon in der Vergangenheit mit den typografischen Eigenheiten der Stadt auseinandergesetzt und initiierte das typocity Projekt, eine Online Ressource für die Stadtbeschriftungen Bombays. Er und das Team designten also das Taxi, für die manuelle Umsetzung konnten sie zwei der führenden Taxiartists der Stadt gewinnen: Manohar Mistry und seinen Sohn Sameer.
Vater und Sohn Mistry waren nicht nur äußerst gefragte Taxiartists, sondern hatten die kunstvollen Beklebungen überhaupt nach Bombay gebracht. Auf die Idee hatte sie ein Bekannter gebracht, der Fotos von mit Leuchtfolie beklebten Mülltonnen aus Dubai mitbrachte – und auf Bitte der Mistrys bald auch die Folien selbst. Diese nutzen sie geschickt, um den schwarz/gelben Taxis eine persönliche, auffallende Note zu verleihen – in der Masse der ca. 65.000 Anbieter ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil.
In einem Interview gaben die beiden damals an, dass die besten Zeiten für ihr Handwerk wohl schon vorüber wären. Ich fragte mich, was aus ihnen geworden war, und ob sie wohl noch immer den Taxis eine Seele geben.
Der Haken dabei: es gab nirgendwo eine Adresse.
Bombay hat 23 Million Einwohner.
Die Suche würde nicht einfach werden.
Fotos © Creative Review, Aashim Tyagi
Cover Design, Spreads by Kurnal Rawat
Ram
Sticker House
Einen Anhaltspunkt gab es: die beiden erwähnten in besagtem Interview das Ram Sticker House, von dem sie ihre Folien bezogen. Das existiert auch heute noch – und erwies sich als echter Glücksfall.
Der kleine Shop in Girgaon wird von Mangilal Rajpurohit und seinem Sohn betrieben, der auch gleich anbot, bei der Suche nach Sameer Mistry behilflich zu sein (der betreibt mittlerweile das Geschäft nach dem Tod seines Vaters alleine). Einige Telefonate später war ein Termin fixiert, abends gings mit dem Motorad zu Manohars Werkstatt.
.
Sameer Mistry,
Künstler mit feiner Klinge
Sameer Mistry war über mein Interesse am Typo Taxi und seiner Arbeit im allgemeinen sichtlich erfreut. Er zeigte mir Fotos von vergangenen Taxijobs und eine Vielzahl an äußerst kleinteiligen Arbeiten, darunter auch das Artwork für den Film JUGAARD, einer Hommage an die Diversität Mumbais. All das hatte er mit dem Skalpell von Hand aus Folie geschnitten!
Wir waren uns rasch einig:
Auf Basis einer mitgebrachten Visitenkarte würde er ein Artwork „Bombay Style“ kreieren: Mit meinem Logo und dem Zusatz „Tom Koch Graphic Wallah.“
Die Zeit war allerdings knapp, da ich schon am nächsten Tag abreisen musste.
Er beginnt damit, den geflammten Hintergrund aus unzähligen Layern reflektierender Folie auszuschneiden, klebt Zunge um Zunge aneinander. So entsteht nach und nach der dynamische Background, den er immer wieder mit neuen Folienschnipsel ergänzt, anpasst, korregiert. Später werden die Konturen des Logos freihändig übertragen und mit dem Skalpell ausgeschnitten. 3D Effekte und Schatten appliziert, das Logo auf dunklen Hintergrund transferiert, Ornamente und feinste Linien herausgearbeitet. Kein einziges Mal zögert er, bleibt hängen oder gar kleben.
Alle diese Arbeitschritte gehen ihm unglaublich ruhig, nahezu kontemplativ von der Hand: Schneiden, Abstreifen der Reste, Anlengen, Festdrücken. Immer wieder. Man merkt, der Mann hat 17 Jahre Erfahrung.
Am nächsten Tag hole ich das Artwork ab.
Es ist vibrant, detailverliebt und very Bombay.
Die Suche hat sich definitiv gelohnt.
A Bollywood Lovestory:
Bombay und die Premier Padmini Taxis
Ihr Debut am Subkontinent hatte die indische Version des Fiat 1100 unter dem Namen Fiat 1100 Delight bereits 1964. 1965 in Premier President umbenannt, wurde die Autos ab 1974 schließlich unter den Namen Premier Padmini – benannt nach der legendären indischen Königin – verkauft und eroberten der Herzen der Bevölkerung im Sturm.
Besonders in Bombay prägten sie das Stadtbild, hatte doch die Stadtverwaltung den Premier Padmini anderen Marken wie dem Ambassador vorgezogen und die Produktion in der Stadt angesiedelt. Dem folgte ein unbeschreiblicher Boom.
Der Premier Padmini wurde das Auto der Wahl für Taxifahrer in Mumbai, da es ökonomisch war, relativ viel Gepäckraum bot und überall in kleinen Mechanikerläden am Straßenrand repariert werden konnte. In seiner Blütezeit in den 1990er Jahren waren rund 65.000 Kaali-Peeli Taxis in den Straßen Bombays zugelassen. Sie waren Stars in Bollywood Filmen, sogar populäre Songs wurden ihnen gewidmet.
Die Padminis hatten nur einen Nachteil: sie sahen alle gleich aus.
Daher gingen Taxifahrer dazu über, sie zu individualisieren, Folienbeklebungen auf den Heckscheiben gaben Auskunft über den Standort (Bandra) und die Bezirke, in denen das Taxi für Fahrten zugelassen war. Dazu kamen persönliche Messages (King of the Kings), seitliche Ornamente und kunstvoll ausgeschmückte Nummerntafeln.
Doch 2003 kam die Zäsur: Die Stadtverwaltung verbannte Autos, die länger als 20 Jahre zugelassen sind, aus Gründen der Luftverschmutzung von Bombays Straßen. Damit hatte man es klar auf die Padminis abgesehen, deren Produktion bereits im Jahr 2000 eingestellt worden war. Ab dann begann ihre Zahl zu schwinden, andere Automarken übernahmen nach und nach den Taximarkt.
Heute sind gerade mal noch 50 Padminis in Bombay unterwegs, 2020 werden sie endgültig aus dem Stadtbild verschwinden.
Mit ihnen verschwindet ein Großteil der kunstvollen Beklebungen, die Taxiartists wie Samir Manohar geschaffen haben. Denn auch von anderer Seite droht dem Gewerbe Ungemach: Neuerdings geht die Polizei gegen die Beklebungen wegen vermeintlicher Gefährdung der Verkehrsicherheit vor.
So verlieren die Taxifahrer die Möglichkeit der individuellen Präsentation und die Stadt ihre rollenden Ikonen. Ob Taxiartist Sameer Mistry in 10 Jahren noch seine filigranen Kunstwerke anfertigen wird, steht in den Sternen.
Fotos © Wikimedia Commons